Was man mit den heutigen technischen Mitteln so alles herausfindet nach einem Tag Skifahren.
Analog sah das wesentlich weniger technisch aus.
Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Zuerst sah ich das schneebedeckte Hüttchen nur vom Sessellift aus. Diese Erscheinung – konnte es wirklich wahr sein? – musste ich aus der Nähe betrachten.
Tatsächlich! Ein Kiosk mitten im Skigebiet. Nicht etwa in der Nähe einer Bergbahn, sondern im Nirgendwo am Pistenrand. Wer wohl dort etwas von diesem Kitsch kaufte? Ich jedenfalls nicht, aber der Kiosk mit seinem illustren Sortiment trug sehr zu meiner Erheiterung bei.
Und sogleich wurden Erinnerungen wach an den Streich, den Kurt Felix in “Verstehen Sie Spass” mit Reinhold Messner gespielt hatte. Ich sag nur: Kiosk am Matterhorn.
Es gibt Situationen im Leben eines Menschen, da ähnelt er eher einem Tier denn einem mit mehr oder weniger Intelligenz ausgestatteten Wesen. Beispielsweise dann, wenn er vor einer Bergbahn am Anstehen ist. Nicht nur, dass er sich durch die schlangenförmig angelegten Gatter treiben lässt wie ein Stück Vieh, manche seiner Spezies verlieren auch jeglichen Anstand, wenn es darum geht, möglichst schnell nach vorne bzw. oben zu gelangen. Es wird geschubst, Ellbogen ausgefahren, gedrängelt.
Im Grödner Tal kam ich mir an gewissen Bergbahnen wirklich vor wie ein Stück Vieh. Das hat wohl weniger mit den Bergbahnen als solchen zu tun, als mit den zahlreichen Mitmenschen, die alle das gleiche Ziel hatten wie ich: Nach oben in die Sonne zu kommen. Dorthin, wo die unzähligen Pisten zum Skivergnügen locken.
Viele Bergbahnen im Nobelort Gröden sind auf dem allerneusten Stand, dennoch lassen sich Wartezeiten nicht vermeiden. Für die Transfers von einer Talseite zur anderen hat man sich einiges einfallen lassen. Rolltreppen, unterirdische Bahnen, Schluchten querende Sessellifte.
Der gemeine Skifahrer ist gemeinhin nicht als grossartiger Sportler bekannt. Auch wenn er wie Vieh in Bahnen gelenkt wird, so wird ihm hier doch so manches erleichtert. Selbst die paar Meter vom Ende der Saslong Piste zur nächsten Bahn muss niemand zu Fuss gehen…
Frau Flohnmobil ist auf Safari. Zwar nicht auf Grosswildjagd, obschon es schon Sichtungen von Gämsen und Hirschen gab, aber auf Skisafari.
Eine Skisafari im Südtirol beinhaltet im wesentlichen ein mehr oder weniger zentral gelegenes Hotel, einen Reisebus und einen Skipass für eine immens grosse Region mit zahlreichen Skigebieten, die sich unter dem Begriff Dolomiti Superski zusammengeschlossen haben. 459 Anlagen und 1181 km Pisten, so steht es jedenfalls im Internet.
Das Herzstück ist die Sellaronda. Diese Rundtour um den Sellastock kann von verschiedenen Ausgangspunkten aus in Angriff genommen werden. Gute Skifahrer schaffen die 40 km lange Tour über vier Dolomiten-Pässe locker. Sehr gute Skifahrer können es sich sogar erlauben, einen nicht idealen Einstieg zu wählen, der ihnen ein paar zusätzliche Pistenkilometer beschert. Diese Variante hat übrigens unser Grüppchen gewählt. Knackpunkt der ganzen Runde ist nicht die Länge der Abfahrten, sondern die Zeit, die man in den Bahnen vertrödelt. Obschon – die Bahnen sind häufig auf dem neusten Stand und es gibt kaum Wartezeiten.
Eine solche Skirunde wäre allerdings auf eigene Faust kaum zu schaffen. Man müsste wohl ständig das Plänchen konsultieren oder Wegweiser suchen. Doch dafür haben wir ja unseren Skiguide Sepp. Ein Unikum, der Alle und Alles hier kennt und mit allen verschwägert oder zumindest befreundet zu sein scheint.
Alles in allem bin ich tief beeindruckt von dem, was ich auf der grossartigen Sellaronda angetroffen habe.
Man mag als Schweizer(in) geneigt sein zu glauben, die eigenen Berge seien die einzig wahren Berge. Als Folge dessen mag man geneigt sein zu glauben, dass Skifahren auch nur im eigenen Land möglich und richtig sei.
Touristikfachleute mögen diese Aussagen mögen. Aber sie stimmen nicht. Ganz wunderbare Berge gibt es in so manchem Land. Immerhin spannt sich alleine schon der Alpenbogen über sieben Länder. Ganz zu schweigen von weiteren Gebirgsmassiven in Europa, von denen ich insbesondere die Pyrenäen relativ gut kenne.
Nun lerne ich ein mir bekanntes Gebirgsmassiv in einer anderen Jahreszeit kennen. Und ich muss sagen, was ich bis jetzt von diesen Skipisten in den Dolomiten gesehen habe, lässt mein verwöhntes Skifahrer-Herz durchaus aus dem Takt geraten.
Skigebiet Gitschberg
Skigebiet Obereggen
Immer, wenn ich ihnen begegne, und das ist immer, wenn ich abstaube, also eigentlich eher selten, erinnern sie mich an eine meiner längsten, schönsten, aber auch anstrengendsten Bergwanderungen.
Diese Wanderung hätte gar nicht so lang werden sollen. Wir waren auf dem Heimweg von einer Reise aus Kroatien und Slowenien und machten mit dem Wohnmobil einen Abstecher ins Südtirol. Bei Einheimischen, die vor einer bewirteten Alphütte bei Ponticello sassen, erkundigten wir uns nach einer etwa fünfstündigen Wanderung. Diese gaben uns frohgemut den Tipp, doch den 2’810 m hohen Seekofel zu besteigen.
Zu früher Morgenstunde stiegen wir los, denn es versprach, ein heisser Tag zu werden. Wir kamen vorbei an Almen, auf denen nicht nur Kühe, sondern auch Pferde weideten. Was für eine Idylle! Und als ob es nicht schon kitschig genug gewesen wäre, wuchsen auf der ganzen Wiese Edelweisse. Soviel übrigens zum Thema “Edelweiss in steiler Bergeswand”. Dieser Mythos gehört ins Zeitalter der Louis-Trenker-Filme.
Nicht erst auf dem Gipfel merkten wir, dass wir den Zeithorizont überschreiten würden. Dank den gut markierten Wegen und dem makellosen Wetter war das aber kein Problem.
Im Rifugio Biella gönnten wir uns Speis und Trank. Neben uns sassen Deutsche, die mit dem Feldstecher durchs Panorama linsten. “Wenn mich nicht alles täuscht, stehen dort drüben die Drei Zinnen”, hörten wir vom Nebentisch. “Die sieht man nicht von hier aus”, knurrte ich mehr zu mir selber zwischen zwei Happen. Der Mitbewohner jedoch, der konnte diese Abänderung der Bergwelt nicht so im Raum stehen lassen und sagte laut und unüberhörbar: “Meine Frau hat gesagt, das seien nicht die Drei Zinnen. Und sie muss es wissen, schliesslich war sie auf allen drei oben.” Schwang da ein bisschen Stolz in seiner Stimme mit? Na jedenfalls musste ich nachher Auskunft geben, was mir eher peinlich war. Es war und ist nicht meine Art, mit derartigen Leistungen anzugeben.
Erst als wir weitergingen, konnten wir im Dunst das berühmteste Dreigestirn der Dolomiten ausmachen.
Unsere Wanderung indes war noch nicht zu Ende. Längst hatten wir herausgefunden, dass mit den fünf Stunden Wanderzeit lediglich der Hinweg auf den Gipfel gemeint war. Wir kamen auch im Abstieg an Wiesen vorbei, die vor Edelweissen nur so strotzten. Drum erlaubte ich mir, vier der geschützten Pflanzen zu pflücken. Ich weiss, dass man das nicht soll, aber die Kühe latschten ja auch geradewegs über diese raren Blümchen.
Nach acht ereignisreisen, aber auch reichlich ermüdenden Stunden waren wir wieder zurück beim Ausgangspunkt, wo unser Wohnmobil artig auf uns wartete.
Die vier Edelweisse, die ich nach alter Väter Sitte zwischen zwei Buchdeckeln getrocknet hatte, sind in der Zwischenzeit reichlich verblasst. Trotzdem haben sie nach acht Jahren noch ihren festen Platz in unserer Wohnung. Und auch wenn der Mitbewohner meint, ich solle die Staubfänger endlich liquidieren, von diesem Souvenir mag ich mich nicht trennen.