Wir haben schon vieles erlebt in Hintertux. Wir rutschten tageweise auf dem blanken Gletscher rum. Wir mussten unverrichteter Dinge wieder umkehren, weil wegen Sturm keine Bahnen liefen. Wir hatten Erfrierungserscheinungen im Gesicht und eiskalte Füsse. Wir hatten dicken Nebel, heftiges Schneetreiben oder grimmige Kälte. Manchmal auch alles zusammen. Aber in all den Jahren, wo wir im November unsere Skisaison in Hintertux eröffnen, hatten wir noch nie so perfekte Verhältnisse. Konnten auch noch nie beim Mittagessen auf der Terrasse sitzen. Es ist einfach der Oberhammer, was da momentan abgeht. Ausserdem hatten wir zwei Tage (Dienstag und Mittwoch), da fühlten wir uns fast alleine auf den Pisten.
Der nichtskifahrende Leser bzw. die Leserin – sofern er/sie denn überhaupt bis hierhin mitgelesen hat – mag sich fragen, was einen denn dazu bringt, im November schon den Winter zu suchen. Ganz ehrlich gesagt, hätte ich diese Frage auch nicht beantworten können, bevor ich meinen heutigen Mitbewohner kennen lernte. Dass es Gletscher-Skigebiete gibt, die im Oktober/November ihre Hauptsaison haben, war mir gänzlich unbekannt. Doch an solchen Orten geht im Vorwinter die Post ab! Ganz besonders in Österreich. Wir haben in der Schweiz auch Gletscherskigebiete, aber die sind ein Nasenwasser gegenüber Hintertux.
Ich habe eingangs geschrieben, dass wir uns zwei Tage lang fast alleine fühlten auf den Pisten. Das ist nur die halbe Wahrheit, denn es tummeln sich zahlreiche Skiclubs und Skinationen, die hier ihre Trainingsläufe absolvieren. Was da nicht alles gut werden will! Ski-Teams aus Norwegen, Finnland, Spanien, Ukraine, Frankreich, Italien, Litauen, Iran, Slowenien, Kroatien, Slowakien, Ukraine (Aufzählung nicht abschliessend, aber dieser Blog-Beitrag soll irgendwann ja mal enden) haben einen Teil der Pisten in Beschlag genommen. Jeden Morgen spielen sich groteske Szenen ab. Da stürmen Kinder, kaum zehn Jahre alt, beladen mit ihren Skis und einem Rucksack, fast grösser als sie selber, der Skischuhe, Helm, Rückenprotektor, Schienbein- und Unterarmschoner enthält, die Bahn. Betreuer schleppen bundweise Kippstangen auf den Berg. Aus Funkgeräten rauscht und chroset es.

Frei nach dem Motto „Alter schützt vor Torheit nicht“ stürzen sich auch Rennfahrer der Kategorie Ü50 ins Getümmel bzw. donnern um die Torstangen. *Kopfschüttel*
Bleibt noch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, was Otto Normalskifahrer um diese Jahreszeit auf den Pisten sucht. In unserem Fall ist es einerseits die Freude am Skifahren, andererseits Gewohnheit. Wir stellen allerdings fest, dass es von Jahr zu Jahr weniger Skifahrer im November auf den Gletscher zieht. Wirtschaftskrise? Skifahren ist bekanntlich ein teures Hobby.
Es gibt Leute, die gehen jede zweite Februarwoche nach Grindelwald, Fiesch oder Davos. Wir gehen halt im November auf den Gletscher. Der Mitbewohner und Skilehrer macht das seit über drei Jahrzehnten. Und bei dem Wetter, das wir diese Woche geniessen dürfen, erübrigt sich die Frage nach dem Sinn schon fast. Im NovemberDezembererNebelgrau kann ich noch lange genug sitzen
