Heute serviere ich euch das Menu einer fremden Köchin. Das hat nichts damit zu tun, dass ich im Moment etwas einfallslos wäre. Aber ich möchte euch diese Kolumne von Laura de Weck, die am 24.12.13 im Tages-Anzeiger erschienen ist, einfach nicht vorenthalten. Sie ist zu genial. Damit meine ich nicht nur die Kolumne, sondern insbesondere auch die Autorin.
Verena
Im Bett macht Verena die Augen auf.
Oh je, heut ist Weihnachten. Das heisst, bald folgt Silvester, und ich hab vergessen, in welches Jahr wir feiern. Ich hab auch vergessen, wie alt ich bin. Aber das spielt keine Rolle mehr, ich muss mich ja nicht für einen Job bewerben oder noch ein Kind kriegen oder sonst irgendeine Deadline einhalten. Ich bin nämlich zu nichts mehr zu gebrauchen, und das ist sehr angenehm. Ich bleib einfach noch ein wenig im Bett und trinke einen Schluck Wasser. Im Alter fängt man den Tag am besten mit einem Schluck Wasser an, dann hat man weniger Aussetzer, das weiss ich aus Erfahrung.
Aber für meine Erfahrung interessiert sich leider kein Mensch. Das liegt nicht am Alter, sondern an der Zeit. Als ich jung war, wollte ich ganz schnell älter werden wegen der Erfahrung. Kaum war ich älter, hatten die Jungen plötzlich Erfahrung und wussten besser, wie und wo man lebt, nämlich im Computer.
Früher galt: Die Jungen sind schön, die Alten sind erfahren, aber jetzt bleibt uns gar nichts mehr. Und genau so wird es sein, wenn heute Abend die Kinder und Enkel zur Weihnachtsfeier kommen, dann sitzen wir da, und sie stellen mir keine einzige Frage. Sie fragen mich nicht, wie man mit dem Unglück umgeht oder wie das Unglück gar nicht erst kommt, nein, sie richten mir eine E-Mail-Adresse ein und schenken mir ein iPad, und am Schluss muss ich die ganzen Fragen stellen: Wo ich denn klicke, wenn ich mir das Foto nochmals anschauen möcht, und wo ich klicke, wenn ich es mir nie wieder anschauen möcht.
Das ist ja schon gut, und es macht ja auch Spass, meinem Moritz bis nach Mexiko zu folgen. Nicht in echt, sondern auf Twitter natürlich, aber um ehrlich zu sein, würde ich lieber erfahren, ob er denn nun mit seiner Freundin geschlafen hat und ob er auch verantwortungsvoll verhütet, als zu erfahren, welche anderen Berge er ersteigt. Ja, ja, so ist es mit uns Alten: Wir sitzen da, müssen angerufen, gepflegt und besucht werden. Wir kosten ein wahnsinniges Geld, aber die Weisheit und Erfahrung, die wir fürs Geld gern zurückgeben möchten, interessiert niemanden mehr. Das hab ich schwarz auf weiss: Die IV hat mir vor ein paar Tagen geschrieben, dass sie mir trotz Hörschwäche keine Weiterbildung an die Hörbehindertenkommunikation zahlt, weil sich «die Investition» nicht mehr lohne. Und obwohl wir Alten keine Investition wert sind, investieren sie wie verrückt ins Altwerden, sodass meine Enkelin eine Lebenserwartung von hundert Jahren hat und sich eine neue Niere dann selbst im 3-D-Drucker herstellen kann.
Da fragt man sich schon, warum die Wissenschaften so sehr in die Alten der Zukunft investieren, wenn sie die Alten der Gegenwart schon nicht mehr wollen. Das sogenannte vierte Alter können die Wissenschaften bis jetzt nämlich auch nicht schmerzloser machen. Oh je.
Vielleicht male ich aber auch alles zu schwarz. Es gab ja in den letzten Wochen hundert Artikel darüber, dass wir Alten doch der Gesellschaft etwas bringen, weil wir die hysterischen jungen Menschen runterholen, weil wir die Gesellschaft entschleunigen, und das tue der Gesellschaft sehr gut, dass da noch welche seien, die sich dem rasenden, neumodischen Tempo naturgegeben widersetzten. Ja, vielleicht sind wir wandelnde Memento mori.
Oh je, nur zum Weihnachtenfeiern sind wir noch gut genug. Und dabei kann ich mit diesem Fest gar nicht viel anfangen. Vom Glauben hin zum Geld hat sich dieses Fest gewandelt. Obwohl, ob der Glauben besser ist als das Geld? Ich weiss es nicht. Ich muss ein bisschen aufpassen, nicht alles schlecht zu finden, wie die Menschen heute leben. Eigentlich ist es ja auch schön, dass Weihnachten meine Kinder und Kindeskinder dazu zwingt, Ferien zu machen und sich zu beschenken.
Wenn ich es mir recht überlege, haben alte Menschen und Weihnachten viel gemeinsam: Keiner weiss genau, wozu es uns beide noch gibt, wir kosten wahnsinnig viel Geld, kurbeln aber die Wirtschaft an, wir kümmern uns um familiäre Zusammenkünfte, wir zwingen die Leute zu einer Auszeit, wir sind anstrengend – und trotz allem hat man uns beide irgendwie gern.

Und nun frage ich euch: War das lesenswert oder lesenswert?